Am 9. Oktober 2020 fand im Großen Sendesaal des Hessischen Rundfunks in Frankfurt am Main das Preisträger-Konzert des Musikpreises "Ton und Erklärung" des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft statt, das auch im Live-Stream erlebbar war. Begleitet wurden die Preisträger im Fach Violine Leonard Fu und Qingzhu Weng dabei von der Kammerphilharmonie Frankfurt, unter der Leitung von Nicolai Bernstein.
Ausschnitte des Live-Streams können Sie unten auf dieser Seite oder auf unserem YouTube-Channel ansehen!
Im Zusammenhang mit dem Preisträgerkonzert sprach Dr. Franziska Nentwig, Geschäftsführerin des Kulturkreises und Jurymitglied des Wettbewerbs, mit unserem Chefdirigenten über Herausforderungen und Chancen für die Musikszene durch die Ausnahmesituation 2020.
Nentwig: Welche Auswirkungen hat die Ausnahmesituation der vergangenen Monate auf Ihre Arbeit und die der jungen Musikerinnen und Musiker Ihres Orchesters?
Bernstein: Die direkteste Auswirkung für unsere Musiker*innen war durch die Absage aller Konzerte der Wegfall eines erheblichen Teils der Einnahmen. Auch alle Projekte der Kammerphilharmonie wurden abgesagt. Die existentielle Unsicherheit wird noch verstärkt von der Instabilität der Situation, sodass auch keine sichere Zukunftsplanung möglich ist.
In diesem Schwebezustand entsteht aber auch eine veränderte Wahrnehmung des eigenen Daseins. Was vermisse ich; was nicht? Das haben sich viele von uns gefragt. Die daraus resultierenden Gedanken und Perspektiven betreffen auch die Arbeit als Musiker*innen und wirken sich auf unsere Arbeit im Ensemble aus.
Es entstanden verschiedene Impulse, wie und mit welchen Inhalten die Arbeit nun fortgesetzt werden könnte. Ein erstes Resultat ist das Projekt “Nachbarschaftsmusik”, bei dem jeden Sonntag die Musiker*innen in kleinen Gruppen, verteilt über das gesamte Stadtgebiet Miniatur-Konzerte für ihre Nachbarschaft spielen.
Nentwig: Welche Formen der musikalischen Förderung von jungen Talenten schätzen Sie persönlich besonders?
Bernstein: Ich finde Formen der musikalischen Förderung begrüßenswert, die junge Talente dazu ermutigen, die gängigen Denkwege und Umgangsformen in Bezug auf klassische Musik zu verlassen. In dem vom Musikmarkt und seinen Mechanismen dominierten Konzertbetrieb wäre eine so angelegte Förderung für junge Talente sicherlich ein großer Gewinn.
Nentwig: Was beschäftigt Sie mit Blick auf die „Post-Corona-Zeit“ und das Wirken Ihres Orchesters? Erwarten Sie Veränderungen in der Klassik-Musikszene hin zu mehr digitalisierten Formaten? Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie für Ihr junges Orchester?
Bernstein: Wenn ich an die Zeit nach Corona denke, hoffe ich vor allem, dass es gelingt, aus dieser Zeit zu lernen und daran zu wachsen.
Im klassischen Musikbetrieb wird es sicher interessant sein, die Entwicklung digitaler Formate zu beobachten. Ich persönlich bin gespannt, ob es jemandem gelingt, im Digitalen nicht nur eine Möglichkeit der Reproduktion und Verfügbarkeit zu sehen, sondern darin eine eigene künstlerische Qualität zu entdecken.
Mit den vielen Miniatur-Konzerten in der Nachbarschaft ist uns etwas anderes besonders aufgefallen: Das Bedürfnis nach Live-Musik und einem echten Konzert als zwischenmenschliches Ereignis ist enorm und kann nicht durch digitale Angebote erfüllt werden.
Deswegen wollen wir eine Art des Musizierens und des Konzertierens finden, die dieser Unersetzlichkeit Rechnung trägt und die in ihrem Zentrum stets den Menschen und sein Bedürfnis nach musikalischem Miteinander hat.